Autorin: Privatdozentin Mag. Dr. Ursula Werther-Pietsch unterrichtet an der Universität Graz und der Bundeswehr Universität München internationales Recht und internationale Beziehungen. Ihr jüngstes Buch „Envisioning Peace“ erscheint im Herbst bei facultas. Sie ist Unterzeichnerin des Offenen Briefs für eine neue Sicherheitspolitik. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die der Autorin.
Abstract: Das „undenkbare Ukraine-Szenario“ sprengt bisher gültige weltpolitische Konzepte, die plötzlich wie einer „Welt von Gestern“ (Stefan Zweig) entsprungen scheinen. Ist nach Ausbruch des größten Konflikts auf europäischem Boden seit 1945 eine Friedensordnung à la Helsinki noch denkbar? Die Auseinandersetzung ist vielschichtig und selbst ein Sturz des Putin-Regimes verhindert nicht eine eingefrorene Hochrisikolage auf lange Sicht. Während die Ukraine ihre Unabhängigkeit verteidigt, richtet sich die russische Aggression gegen die Wertedominanz Europas und schließlich hat sie massive macht- und wirtschaftspolitische Folgen auf globaler Ebene. Gleichzeitig liegen Elemente wie Selbstbestimmung, Neutralität, Autonomie und Minderheitenschutz, Aufarbeitung von Kriegsverbrechen für eine sicherheitspolitische Neuordnung am Tisch. Es ist wichtig, den Dialog in jeder Konstellation aufrechtzuerhalten. Können diplomatische Mittel diesen gordischen Knoten lösen?
Abstract: The war in Ukraine signals a Zeitenwende, leaving assessments behind in a “Welt von gestern” (Stefan Zweig). Are we still in a position to return to a post-WWII peace order à la Helsinki? The theatre is multi-layered and even a downturn of the regime Putin cannot prevent a risky security situation for years. While Ukrainians defend their independence, the Russian Federation, as the aggressor, simultaneously fights Europe’s values dominance, and finally, the war is massively impacting economy and power on a global scale. At the same time, there exist elements for peaceful settlement made up of autonomy and self-determination, neutrality, minority rights as well as prosecution of war crimes. It will turn out crucial to uphold dialogue in any given situation. Can diplomatic tools cut the Gordian knot?
Bottom-line-up-front: Atomare Asymmetrie, Bündnisverschiebungen, Weltwirtschaftskrieg, Informationskrieg, das Entstehen eines komplexen Bipolarismus deuten darauf hin, dass eine Lösung globale Dimensionen haben wird. Eine künftige Sicherheitsarchitektur europäischer Prägung muss wohl mit einem harten „Limes“ rechnen und in kleinen Schritten einer nachhaltigen Ordnung auf Grundlage nicht verhandelbarer Identitäten nachgehen.
Problemdarstellung: Eröffnet der Krieg in der Ukraine eine neue Generation von europäischer Friedens- und Sicherheitsarchitektur? Wird es zu einem „Einfrieren“ der ideologischen Spaltung von Ost und West kommen? Werden aufgrund der Erosion der alten Ordnung Allianzen anstatt Institutionen das Weltgeschehen lenken?
Was nun?: Weit hinausdenken und das Unerwartete tun. Ein von der Türkei, Israel, den USA oder China mediierter oder aus taktischen Gründen eingegangener Waffenstillstand sollte den Weg für ein Neudenken globaler Friedensstrukturen freigeben, der dem aufgeschaukelten AutokratieDemokratie-Gegensatz entgegenwirkt und den drei involvierten Interessenskreisen, internationale Gemeinschaft, Russische Föderation und Ukraine sowie, und vor allem, den Gesellschaften Europas gerecht wird.
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